Juan Donoso Cortés: Europa stirbt

Der spanische Diplomat, Politiker und Staatsphilosoph Juan Donoso Cortés (1809-1853) ist einer der bedeutendsten Kritiker der Moderne. Vor mehr als 150 Jahren diagnostizierte er den sich ankündigenden Tod Europas in Folge der Zuwendung zu den Ideen der Moderne:

Die europäische Gesellschaft stirbt. Ihre Extremitäten sind bereits kalt. Bald wird es auch ihr Herz sein. Und wissen Sie, warum sie stirbt? Sie stirbt, weil sie vergiftet worden ist. Sie stirbt, weil Gott sie geschaffen hat, um mit der katholischen Substanz ernährt zu werden und weil Kurpfuscher ihr die rationalistische Substanz als Nahrung verarbreicht haben […]. Sie stirbt, weil der Irrtum tötet und weil diese Gesellschaft auf Irrtümern aufgebaut ist […]. Daher wird die Katastrophe, die kommen muss, in der Geschichte die Katastrophe schlechthin sein. Die einzelnen Menschen können sich noch retten, weil sie sich immer retten können. Aber die Gesellschaft ist verloren, nicht deshalb, weil ihre Rettung eine radikale Möglichkeit an sich darstellt, sondern weil die Gesellschaft meiner Überzeugung nach ganz offenbar nicht gerettet werden will.  Es gibt keine Rettung für die Gesellschaft, weil wir aus unseren Kindern keine wahren Christen machen wollen und selbst keine wahren Christen sind. Weil der katholische Geist, der einzige, der Leben in sich trägt, nicht alles belebt, weder den Unterricht noch die Regierung noch die Institutionen noch die Gesetze noch die Sitten.  Es wäre ein gigantisches Unterfangen, das sehe ich nur zu klar, wollte man den derzeitigen Lauf dieser Dinge ändern.

Eine Prognose aufgestellt zu haben, die auch mehr als ein Jahrhundert später noch gültig ist, stellt eine außergewöhnliche Leistung dar, die nur wenigen Beobachtern der Lage jemals gelungen ist.

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11 Antworten zu Juan Donoso Cortés: Europa stirbt

  1. Aristoteles schreibt:

    Was ist denn der katholische Geist?

    Inwiefern unterscheidet sich der katholische Geist eines Europäers von dem eines Südamerikaners?

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    • G. Wheat schreibt:

      Bei den einen erscheint Jesus regelmäßig auf Toastbrotscheiben und erhält Heimaltare zur Unterstützung der eigenen Fussballmannschaft, während er bei den anderen seit mehreren Jahrhunderten der Hauptträger kultureller Zersetzung ist.

      Googeln Sie das mit den Toastscheiben. Ich wünschte es wäre ein Scherz.

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      • Projekt Ernstfall schreibt:

        @G. Wheat
        Wenn man sich lieber mit dem erwähnten Toastbrot oder sonstigen Sonderlichkeiten auseinandersetzt als mit den substantiellen Aspekten, wird man sich einerseits zwar immer im eigenen Standpunkt bestätigt finden, kommt aber andererseits auch nicht weiter.

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      • G. Wheat schreibt:

        Wenn man sich lieber mit dem erwähnten Toastbrot oder sonstigen Sonderlichkeiten auseinandersetzt als mit den substantiellen Aspekten, wird man sich einerseits zwar immer im eigenen Standpunkt bestätigt finden, kommt aber andererseits auch nicht weiter.

        Ich habe mich auf dieser Seite nicht eingefunden, um gegen den christlichen Glauben einen wissenschaftlichen Kreuzzug zu führen, weshalb es nur bei schnittigen Randbemerkungen und entsprechender Wortwahl bleibt. Ihr persönliches metaphysisches Konzept geht keinen etwas an, erst recht nicht mich. Sobald es aber die persönliche Sphäre verlässt, ist es Diskussionsgegenstand, wie hier im Rahmen von möglichen Organisationsformen und derer normativen Unterfütterung zwecks kultureller Kontinuität. Meine Ansicht kennen Sie bereits; Ich halte jedwede Art von Religion als moralische Säule für solch ein Unternehmen als nicht geeignet, zumal das Problem nicht die kulturelle Erosion ist, sondern der schwankende Wille sich auf bereits existierende Kategorien zu berufen, von denen wir, sowohl im deutschen als auch gesamteuropäischen Raum, für jeden Geschmack mehr als genug haben: heidnische Traditionen, Einflussnahme des Christentums, bürokratisches Ethos, lokale Traditionen, kämpferische Tugenden usw. Wenn Sie sich für einen dieser geschichtlichen Prägungen entscheiden und auf die Fahne schreiben, tragen Sie zur kulturellen Spaltung bei. Wir haben genügend gemeinsame Nenner, die allerlei deutsche “Geister” umfassen können, ohne Partei zu ergreifen – salopp ausgedrückt. Wir wollen hier schließlich nicht das Christentum retten, sondern im engeren Sinne eine facettenreiche deutsche und im allgemeinen europäische Kultur, zu der wir gehören.

        Letztlich sei gesagt, solange Sie nicht nach dem Zweiten Satz mit Missionierungsversuchen auspacken oder Ihr Menschenverstand durch spirituelle Ergriffenheit ersetzt wird, dann kommen Sie mit Menschen wie mir gut aus und vice versa. Wenn Sie nun aber, überspitzt gesagt, die Deutsche Arche zu St. Georg gründen, dann sind Sie tatsächlich ein Verein von Mönchen, die sich zu Ave Maria auf eine Zombieapokalypse vorbereiten und im Ernstfall den Magazinwechsel nutzen, um über kurz über Schismen zu quatschen. Filmreif, ich weiß!

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    • Projekt Ernstfall schreibt:

      @Aristoteles
      Der “katholische Geist” ist in dem Kontext die Naturrechtslehre. Diese geht von der Existenz einer auch mit dem Verstand erkennbaren Ordnung in der Natur aus, welcher der Mensch entsprechen sollte wenn er richtig handeln will. Teil dieser Lehre ist die Anerkennung der Tatsache, dass die Menschheit aus unterschiedlichen Völkern mit unterschiedlichen Eigenschaften besteht, die es zu respektieren gilt. Das ist in sofern universell angelegt, als dass es die erwähnten Europäer und Südamerikaner gleichermaßen akzeptieren können, ohne dadurch etwas aufgeben zu müssen, um beim Beispiel zu bleiben.
      Der Autor des Zitats bezog es aber auf in seinem Kontext auf andere utopische Vorstellungen, insbesondere die der französischen Revolution. Seine Leistung war es m.E., sowohl den Ursprung als auch seine sich über die Jahrhunderte entwickelnden Folgen klar erkannt zu haben.

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      • Aristoteles schreibt:

        Ich kenne mich mit dem Katholizismus nicht sehr gut aus, deshalb die Frage:
        Ist diese Naturrechtslehre irgendwo konzipiert oder nur in ihn hineininterpretiert?
        Die Naturrechtslehre ist ja schon älter.

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      • Projekt Ernstfall schreibt:

        @Aristoteles
        Die christliche bzw. katholische Ausgestaltung der in der Tat auch außerhalb des Christentums zu findenden Naturrechtslehre ist ganz zentraler Bestandteil katholischer Weltanschauung. Mit dem Thema könnte man vermutlich ganze Bibliotheken füllen, aber wenn man nur einen Namen in dem Zusammenhang nennen müsste, wäre es wohl Thomas von Aquin, der die antiken Vorstellungen davon mit christlichen verbunden und bedeutend weiterentwickelt hat. Mittlerweile bestätigt sich ja auch die katholische Kritik am Konzept der Menschenrechte, das mit der Naturrechtslehre konkurriert. Die katholische Kritik war u.a., dass man sich mit einer letztlich durch Mehrheitsentscheidungen legitimierten Konzeption auf die schiefe Bahn begeben würde, was neuste Menschenrechtserfindungen wie das “Menschenrecht auf Prostitution” zeigen.

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  2. Graurabe schreibt:

    Demnach müßten Preußen und England schon im 18. Jahrhundert, das gewissermaßen ein preußisch-englisches gewesen ist, Mächte des Verfalls gewesen sein. So einfach ist es natürlich nicht, wenn ich auch seine Kernaussage in Bezug auf Krisen selbstverständlich teile. Der vor-konziliarische Katholizismus bot, wie heute noch die östliche Orthodoxie, Bewahrung, um den Preis der Stagnation. Das erkennt man heute noch am Gegensatz: Protestantisches Nord-, und katholisches Südamerika. Der dynamische Norden löst sich wie das post-christliche Europa langsam auf, der katholisch-stagnierende Süden ist “arm aber identitär”, wie man sagen könnte.

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  3. Hartwig aus LG8 schreibt:

    @ G.Wheat
    Es ist offenkundig, dass @PE im Christlichen weit weit mehr gefunden hat, als nur ein Vehikel. Aus meiner Sicht beneidenswert. Ich, unreligiös erzogen, der zeitebens auf der Suche war (und alleine diese Tatsache ist für mich ein Indiz für eine höhere Instanz), und bislang relativ erfolglos blieb, würde sich im hiesigen Kontext (Ernstfall) mit dem “Vehikel” Christentum ohne weiteres anfreunden können. Selbst Missionierungsversuche würden mich nicht stören, gehören sie doch zur Natur der Sache. Ich hatte es schon vor der Pause betont und möchte es hier wiederholen, ohne es fürderhin zu strapazieren: Es geht um die Suche nach einer Klammer, welche einklammert, aber auch ausklammert. Wenngleich kein Christ im klassischen Sinn, aber gläubig ohne Frage, kann ich im Christentum diese Klammer erkennen. Oder anders gesagt oder gefragt: Worin denn sonst?

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  4. Kunstmuseum Hamburg schreibt:

    „Ich dachte einmal so an einen Krieg, der die ganze Welt umkehren könnte, oder wie so einer eigentlich entstehen müsste, und sähe eben gar kein anderes Mittel — . . als den jüngsten Tag, wo die Erde sich aufthun und uns alle verschlingen könnte, das ganze menschliche Geschlecht, so dass auch gar keine Spur von allen den Vortrefflichkeiten heutigen Tages nachbliebe.“

    http://kunstmuseum-hamburg.de/runge-und-die-romantik-dritter-abschnitt/

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  5. Waldgänger schreibt:

    Es kommt überhaupt nicht darauf an, ob man das europäische Christentum nun persönlich schätzt oder nicht, ob man selber gläubig ist oder nicht. Worauf es ankommt, das ist die Frage, ob dieses Christentum nun tatsächlich im dem Maße einen wesentlichen Teil des Fundaments europäischer Kultur und Besonderheit ausmacht.

    Cortez war dieser Meinung – und er hat dabei nicht nur die Geschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit auf seiner Seite, sondern auch die zunehmend problematische historische Entwicklung seit der Französischen Revolution.

    Es gibt ja den Satz, dass Europa auf drei Hügeln gebaut sei, nämlich der Akropolis für die griechische Philosophie, dem Kapitol für das römische Recht und Golgotha für das Christentum
    Da ist sicher etwas dran, aber nur der religiöse Hügel, also Golgatha, war geeignet, die Heterogenität unseres auch schon früher sehr vielfältigen Kontinents zu einer Art Einheitsempfinden und zu bringen. Insofern war Golgatha wichtiger als die Akropolis oder das Kapitol.

    Bei aller Verschiedenheit wussten die christlichen Europäer des 15. , 17. oder 19. Jahrhunderts doch immer sehr genau, was sie von den anderen Weltkulturen unterschied und was ihr Eigenes war … !
    Und zwar in Berlin oder Kopenhagen ebenso wie in Madrid oder Wien. Der Aufstieg der protestantischen Mächte (z.B. Preußen und England) war natürlich schon ein Schlag gegen das alte Selbstverständnis des katholischen Europas. Eine Verringerung des Abstands zu den nichtchristlichen Weltkulturen bedeutete das aber eben nicht!

    Inzwischen ist es allerdings schon so weit, dass man sich sogar fragen muss, ob nicht auch die zwei anderen Hügel von der Abtragung und Einebnung bedroht sind …
    Wohin das führt, sehen wir ja.

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